Geschichten von unterwegs

Inhalt:

1. Der Abgeordnete
2. Alberto
3. Die Großfamilie
4. Der pensionierte Globetrotter
5. Tour de Colombia
6. Der Pizzabäcker von Las Lajas
7. Heiligabend in Bolivien
8. Dona Esmeralda
9. Mapuche
10. Nachtbus nach Yangon
11. Philanthrophy
12. Taiwanesische Gastfreundschaft
13. George-in memoriam
14. Leo, der Löwe unter den Ländersammlern
15. Der alte Mann und das Haus
16. Judy
17. Curtis
18. Sue und Steve
19. Joe’s Restaurant

1. Der Abgeordnete

In wenigen Wochen sind in Kolumbien Kommunalwahlen, also wird fleißig Wahlpropaganda gemacht. Wagen mit dicken Lautsprechern patrouillieren durch die Ortschaften und werben für Kandidaten, natürlich nicht ohne ohrenbetäubende Musikeinlagen. An einem Abend, im kleinen Bergdorf La Esperanza, findet im Patio vor unserem Hotelzimmer eine kleine Wahlveranstaltung statt, zu der wir als Repräsentanten des fernen Europa sehr herzlich eingeladen werden. Ein gutes Dutzend Erstwähler lümmelt auf Plastikstühlen, ein paar Kleinkinder kriechen zwischen ihnen herum. Ein älterer Herr gibt zuerst allgemeine Belehrungen zu Demokratie und Wahlrecht und stellt dann den lokalen Abgeordneten Jaider Navarro Quintano Alcade vor, eine stattliche Erscheinung, von Beruf Experte für künstliche Rinderbesamung, leger in Jeans, Turnschuhe und Baseballkappe gekleidet. Er begrüßt jeden Anwesenden per Handschlag und verspricht in seiner Rede, sich im Dorf für Internet, eine Bibliothek und, mit Seitenblick auf die jungen Eltern, Wohnraum für junge Familien einzusetzen. Dann werden Muster der komplizierten Wahlbögen herumgereicht und man schärft den Kids ein, wo sie demnächst ihre Kreuzchen zu setzen haben. Noch vor dem Ende der Ansprache werden Becher mit Coca Cola und Gebäck verteilt, und da plötzlich auch noch ein Platzregen niedergeht, hört niemand mehr zu und die Veranstaltung findet ein jähes Ende.
Wir wünschen dem netten Kandidaten trotzdem viel Erfolg…
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2. Alberto

Mittagshitze über der kolumbianischen Karibik. Wenn man von Santa Marta die Küste weiter nach Norden entlang fährt kommt man über eine steile Anhöhe. Von oben kann man die Bucht von Taganga überblicken, bevor es in ebenso steilen Kurven wieder hinab geht. Vollbremsung, denn ein Radfahrer kommt entgegen. Ein schmächtiger älterer Mann mit Schirmmütze, eine Felge über die Schulter gehängt, arbeitet sich im kleinsten Gang bergauf. Herzliche Begrüßung unter Gleichgesinnten. Alberto, stellt er sich vor, mucho gusto. Dass man sich überhaupt nicht kennt, spielt keine Rolle. Die offensichtliche Gemeinsamkeit ist das Radfahren, und das verbindet und rechtfertigt allemal eine Vollbremsung im schönsten Downhill oder einen riskanten Fahrbahnwechsel.
Ob wir eine Unterkunft bräuchten? Mit „Aire“, Klimaanlage, für euch nur 20 000 Pesos die Nacht.
Klar, warum nicht?
Kommt mal einen Schritt hierher, von da aus könnt ihr mein Haus sehen, da, das gelbe mit dem Giebel. Wenn ihr unten im Dorf seid, fragt einfach nach Albertos Haus, meine Frau macht euch auf. Ich muss nur eben zum Fahrradladen und bin bald wieder da.
Wir schieben die Räder durch eine Eisentür in einen kleinen Hof. Noris, die Ehefrau führt uns eine Außentreppe hoch in eine kleine, sehr rudimentär eingerichtete Wohnung: Lehmwände mit Lüftungsschlitzen statt Fenstern, eigentlich eine für das tropische Klima sinnvolle Bauweise, nur dass im Schlafzimmer die Öffnungen mit Lappen zugehängt sind und tatsächlich eine Klimaanlage installiert ist! Was für eine Stromverschwendung eigentlich! Zwei klapprige Holzbetten, Dusche, Essecke, eine kleine Küchenzeile mit Gaskocher und einem monströsen, uralten Kühlschrank. Wir richten uns ein, stolz, mal wieder selbständig etwas Authentisches aufgetan zu haben, einen „eigenen Herd“ zu haben und die im Reiseführer angesagte, viel teurere Traveller-Herberge zu meiden. Die Klimaanlage funktioniert sogar, auch der Kühlschrank nimmt mit viel Getöse den Betrieb auf, nur Wasser kommt keins aus der Leitung. Inzwischen ist Alberto wieder zurück und zeigt uns mit Begeisterung seine Werkstatt: in einem engen, fensterlosen Raum sind ein Doppelbett und der Fußboden über und über mit einem Chaos aus Werkzeugen und alten Fahrradteilen bedeckt. Dazwischen liegen abenteuerliche Konstruktionen, ein Tandem und ein geländegängiges Dreirad, Albertos ganzer Stolz, das er aus mehreren alten Fahrrädern zusammengebastelt hat. Wir bewundern alles höflich.
Dann deuten wir an, dass wir uns ganz gerne mal waschen würden.
Oh ja, entschuldigt vielmals, der Wassertank ist leider leer, aber der Tanklaster müsste jeden Moment kommen!
Alberto schleppt uns für’s erste einen Eimer hoch, mit dem etwas trüben Rest aus dem Tank, dann noch zwei große Plastiktüten Trinkwasser aus dem Laden.
Am nächsten Tag immer noch keine Spur von einem Tanklaster, dafür braut sich ein Gewitter zusammen, und es gibt den ersten Regenguss seit Monaten. Es schüttet wie aus Eimern, die steilen Gassen verwandeln sich in Minutenschnelle in Sturzbäche, und vom Wellblechdach schießen Rinnsale in den Hof und auf die Treppe. Schnell werden Töpfe und Wannen aufgestellt, um das Wasser aufzufangen. Und wir können in Badesachen endlich unsere Dusche im Freien nachholen, unter den gleichermaßen verlegenen wie anerkennenden Blicken unseres Gastgebers.

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3. Die Großfamilie

Den Vormittag über haben wir gut Strecke gemacht, es ist Zeit für eine Mittagsrast. Die Gegend im heißen Tiefland ist dünn besiedelt, die Ortschaften liegen weit auseinander. Aber an der Landstraße gibt es einen „Parador“, einen Halteplatz für Durchreisende, mit mehreren Restaurants. Verschwitzt stellen wir die Räder ab und sehen uns um. Da kommt schon eine attraktive Frau im besten Alter im schulterfreien, roten Kleid herbei, winkt und ruft uns lachend zu sich.
Ihr seid doch die…? Ihr wart doch….? Wir haben ein Hotel in Santa Marta, da waren letztes Jahr Radfahrer aus Frankreich…
Nein, das waren wir nicht, das muss eine Verwechslung sein.
Egal, kommt an unseren Tisch, wir laden euch ein!
Und schon sind wir in eine fröhliche Runde integriert. Unsere Gastgeberin Rosa stellt uns die anderen vor: das ist ihr Mann, da sind zwei ihrer Brüder, ihre Mutter, eine Tante und ein junges Paar, ein Neffe mit seiner Freundin. Während das Essen serviert wird entspinnt sich eine angeregte Konversation. Wir haben etwas Mühe, alles zu verstehen und die vielen Fragen zu beantworten. Einer der Brüder zeigt stolz auf seine Wadenmuskeln, er sei auch Radfahrer. Das gibt Gesprächsstoff. Am lustigsten aber ist Rosas Mann, ein fülliger Mensch, der es sich gut schmecken lässt und derweil unablässig seine Schwiegermutter neckt. Sie habe acht Kinder und sei eine richtige „coneja“, eine Karnickelmutter. Die alte Dame, eindeutig das Familienoberhaupt, sieht eher wie eine Aristokratin aus, fein und würdevoll, bestimmt war sie früher eine Schönheit. Und er sei das „mascoto“, das Haustier der Familie, kontert sie schlagfertig, offensichtlich mit Anspielung auf seinen guten Appetit. So geht das weiter, bis die Teller leer sind und es Zeit für den Abschied ist. Die fröhlichen Familienmitglieder nehmen Platz in zwei geräumigen Vans, wir steigen auf unsere Sättel und winkend fahren wir in entgegengesetzten Richtungen davon.

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4. Der pensionierte Globetrotter

Am Ortsrand von Villa de Leyva halten wir an um uns zu orientieren. Wo geht’s zum Zentrum, wo gibt es eine Unterkunft? Ein älterer Mann kommt auf uns zu. Er ist klein, schlank und wirkt auf eine bestimmte Art agil und jung.
Kommt ihr gerade an? Braucht ihr ein Zimmer?
Er spricht ein ganz passables Englisch. Und wirkt irgendwie sympathisch, nicht wie ein Schlepper, also lassen wir uns zu seinem Haus führen. Unterwegs erzählt er von seinen Reisen, die er in jüngeren Jahren gemacht hat. Er habe immer ein paar Jahre gearbeitet und Geld gespart um dann länger verreisen zu können. Jetzt sei er 71 und bliebe ganz gerne zu Hause. Das ist auch nachvollziehbar, denn Villa de Leyva ist ein Ort, an dem schon viele Reisende länger als geplant hängen geblieben sind. Koloniale Architektur, viel Geschichte, eine schöne Umgebung und auf einer Höhe von 2000 m hat die Stadt angeblich das beste Klima von ganz Kolumbien, das sind genügend Gründe.
Jaime bewohnt ein individuell eingerichtetes Haus mit kleinem, ruhigem Hof. Die Wände sind farbig gestrichen und mit seinen eigenen Gemälden und Fotgrafien geschmückt. Zwei oder drei Zimmer vermietet er tage- oder monateweise an Touristen. Küche, Wohnzimmer und Garten werden unkompliziert gemeinsam genutzt. Zur Ankunft bekommen wir einen Kaffee im Garten serviert, und dann zeigt uns Jaime stolz seine Fotoalben. Auf etwas verblassten Aufnahmen sehen wir einen feschen Mann im besten Alter, mit Schlaghosen, halblangem Haar und Koteletten im Stil der Siebziger Jahre. Das ist er, mal in Florenz, mal in Paris, an der Berliner Mauer und auf einem Esel ins Tal der Könige reitend. Überall ist er gewesen! Daher also seine weltgewandte, offene Art!
Dann ist da noch Rita, seine Frau. Sie ist um einiges jünger als er, sehr herzlich und fürsorglich. Dass sie als Immobilienmaklerin arbeitet, will nicht so recht ins Bild passen, wohl aber, dass sie ganz in der Versorgung von vernachlässigten Hunden und Katzen aufgeht, deren Schicksale sie uns ausführlich erzählt. Kinder gibt es keine.
Zufriedenheit und Bei-Sich-Angekommen-Sein, das ist es, was die beiden ausstrahlen. Dazu passt die Stille und Ehrfurcht, in der wir alle zusammen an unserem letzten Abend in Villa de Leyva von ihrem Garten aus eine Mondfinsternis betrachten.

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5. Tour de Colombia

Es ist ein sonniger Morgen in den kolumbianischen Anden. Wir fahren eine ruhige Nebenstrecke. Seltsam ist nur: alle Hundert Meter steht ein Polizist am Straßenrand. Nach drei Wochen bin ich immer noch etwas misstrauisch, was die Sicherheitslage in Kolumbien angeht, und frage nach. Der Uniformierte, fast noch ein Junge, grüßt fröhlich, nein, es gebe kein Problem, aber heute sei ein Radrennen. Also doch kein Guerilla-Hinterhalt, keine Gefahr durch Wegelagerer, sondern eine gute Nachricht! Eine sehr gute sogar. Wir kennen das von früheren Gelegenheiten: Ein Radrennen bedeutet, dass die Straße für den Autoverkehr gesperrt ist, dass es Gratisgetränke gibt und dass man von der allgemeinen Aufmerksamkeit und dem Beifall etwas abbekommt. Wenn man auch, wie wir, mit schwer bepacktem Drahtesel die Serpentinen hochkriechend, neben den Supersportlern auf den leichten Rennrädern eher eine Witzfigur abgibt.
Diesmal haben wir es sozusagen mit der kolumbianischen Tour-de France zu tun! An die 200 Spitzensportler werden erwartet.
Die Spannung steigt. Außer den Ordnungshütern säumen jetzt immer mehr Schaulustige und Übertragungswagen die Straße, Transporter mit Ersatzrädern überholen uns. Zwei pink lackierte Motorräder, die Fahrer in ebenso pinken Lederanzügen, bremsen neben mir ab. Ein Griff in die Kühlbox, und ich bekomme eine kleine Plastikflasche mit pinkem Sprudel überreicht, eine Kostprobe der nationalen Getränkemarke Postobon.
In wenigen Minuten soll es so weit sein. Die Rennfahrer holen uns ein. Eine Polizeistreife bedeutet uns anzuhalten. Und wsssssst, der erste saust vorbei, dicht gefolgt von zwei anderen. An dem flachen Streckenabschnitt ist ihr Tempo enorm. Da möchte man auf kein Hindernis stoßen. Nach und nach folgen weitere, in kleinen Gruppen, alles dünne, sehnige Burschen. Dann passiert länger nichts, und wir fahren weiter, wundern uns etwas über den ganzen Aufwand, sollte das alles gewesen sein. Doch wieder bremst ein Motorrad neben uns, und ein Polizist fordert uns auf, jetzt mit Nachdruck, sofort stehenzubleiben! Und da passiert es: das ganze Feld rast in Armeslänge an uns vorbei, fast lautlos, ein Meer von gelben, weißen, grünen, rosa Rücken und Helmen, tief über die Lenker gebeugt, dicht an dicht. Nicht auszudenken, was für eine Kettenreaktion eine einzige Unachtsamkeit auslösen würde!
In Sekundenschnelle ist der Spuk vorbei. Die Straße bleibt aber noch lange autofrei, denn es kommen noch einzelne Nachzügler. So lange bleiben auch die Zuschauer auf ihren Posten, ganze Schulklassen in Uniform sind am Straßenrand aufgestellt und jubeln jetzt uns zu. Wir winken gönnerhaft zurück.
Ach, wie schön ist es, sich einmal im Abglanz des Ruhmes anderer zu sonnen…

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6. Der Pizzabäcker von Las Lajas

Es ist unser letzter Tag in Kolumbien. Ganz im Süden, nahe der Grenze zu Ecuador, hat sich ein Wildbach seinen Weg durch das Gebirge gebahnt und eine tiefe Schlucht gebildet. Hier wanderte einst eine Indiofrau mit ihrer Tochter auf düsterem, einsamem Pfad, als ihr in einer Felsnische die Heilige Jungfrau Maria erschien!
Heute steht an dieser Stelle eine imposante Kathedrale, halb in den Fels gebaut, halb auf einer Brücke über den Fluss ragend.
Wir wollen in dem Ort Las Lajas, der oberhalb von diesem Heiligtum errichtet wurde, übernachten, um am nächsten Morgen die Grenze zu passieren. Überall gibt es Herbergen für Pilger, Restaurants und Souvenirläden mit Rosenkränzen, beleuchteten Marienbildnissen und anderem Tingeltangel. Während wir nach einer passenden Unterkunft suchen, spricht mich ein junger Typ an, der gerade in einer offenen Bude am Teig kneten ist. Hallo und herzlich Willkommen, ich bin Sergio, so stellt er sich gleich vor und streckt mir seine bemehlte Hand hin. Wohin, woher, es kommen die üblichen Fragen, aber irgendwie ist er anders, wirkt mit seinen Ohrringen und Tattoos und der direkten und lustigen Art nicht so wie einer von hier. Jaja, die Kathedrale sei schon sehenswert, und dieser Ort sei so etwas wie der Vatikan von Südamerika, beteuert er und steckt mir noch eine Kostprobe von einem frisch gebackenen Teigfladen zu.
Natürlich scheuen wir keine Mühe, steigen die vielen Stufen in die Schlucht hinab und besuchen die Kirche, wo gerade die Heilige Kommunion zelebriert wird und ein Mann am Keybord rührende Klänge fabriziert. Die Felswände ringsum sind mit unzähligen kleinen Marmortafeln bedeckt, auf denen Danksagungen für Heilungen und andere Wundertaten eingraviert sind. Wenn dieser Ort auch vielleicht nicht mit dem Vatikan vergleichbar ist, so hat er doch mindestens den Rang von Lourdes!
Am Abend, als wir noch etwas essen wollen, stellen wir fest, dass die Frommen früh zu Bett gehen; es ist gerade mal 19 Uhr, als überall die Rolläden herunterrasseln und sämtliche Läden und Restaurants schließen. Einzig Sergio in seiner Bude hat noch geöffnet. Ja sicher, es gibt noch Essen, Pizza, Suppe, Hähnchen, was immer ihr wollt! Wir schauen uns unauffällig um und sehen eine Plastikschüssel mit undefinierbarer Flüssigkeit herumstehen, ein paar Hühnerfüße ragen aus einer Schublade hervor, und in einer Vitrine liegt noch ein einsames Stück Pizza „Hawai“. Wir zögern etwas. Im selben Moment steuert eine siebenköpfige Pilgerfamilie den Laden an, offensichtlich sind es im Ort gestrandete Nachzügler, und sie sind wie wir auf Nahrungssuche! Jetzt hat Sergio alle Hände voll zu tun! Mit gleichbleibender Freundlichkeit lädt er uns und die Family in die winzige Bude ein, fest entschlossen, alle zu bewirten. Die Familie vesucht sich auf drei Klappstühlen um einen wackeligen Tisch zu gruppieren, während Sergio geschäftig hin und her springt, und schnell ins Nachbarhaus rennt um Plastikhocker auszuleihen. In der Eile und dem Chaos stellt er versehentlich die Plastikschüssel mit der Suppe auf dem noch heißen Herd ab. Katastrophe, es schmort und zischt! Sergio sprintet wieder nach nebenan, holt einen Kochtopf, schüttet die verbliebene Suppe um, löst das geschmolzene Gefäß vom Eisenrost und setzt es sich auf den Kopf, „un sombrero“, lacht er mit Galgenhumor. Das alles passiert in wenigen Augenblicken.
Wir entscheiden uns dann also für das Pizzastück. Nein, Aufwärmen nicht nötig, auch kein Teller, nein, bloß keine Umstände, wir essen im Stehen! Wir verabschieden uns eilig und überlassen Sergio und die hungrigen Pilger ihrem Schicksal. Irgendwo treiben wir doch noch ein Päckchen Nudeln auf und kochen im Hotelzimmer auf dem Campingkocher ein bescheidenes Mahl.
Am nächsten Morgen, bevor wir den frommen Ort verlassen, sehen wir Sergio noch einmal. Ohne das abendliche Desaster zu erwähnen begrüßt er uns gut gelaunt. Pizzabacken mache echt Spaß, aber er wolle auch bald mal weiter. Er sei Argentinier, auf Rucksackreise durch Südamerika, und er habe hier nur für zwei Wochen gejobbt, um etwas Kohle zu verdienen. Ach so!

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7. Heiligabend in Bolivien

Ein neuer Tag auf dem Altiplano. Wir rollen auf dem Highway No 1 schnurgerade über das flache, kahle Hochland dahin. Lange vor der Hauptstadt wird die Straße schon vierspurig ausgebaut, eine endlose Baustelle zieht sich durch das Niemandsland. Es sind weit und breit keine Siedlungen zu sehen, und doch sitzen Menschen unmittelbar am Straßenrand im Staub, mit Decken, Bündeln und Plastikplanen, sitzen einfach da.
Im Laufe des Tages sind da immer mehr Kinder in schmuddeligen Klamotten, die herumhüpfen und ihre lumpigen Hüte aufhalten, wenn jemand vorbeifährt. Manche knien da und schwenken die Hüte auf und ab. Betteln sie? „Un regalo“, rufen sie.
Später kapiere ich, dass sie Weihnachtsgeschenke wollen, denn aus manchen Autos werden Bonbons und Spielsachen geworfen, billige in durchsichtige Folie verpackte Plastikpüppchen und -autos, made in China. Die Kinder stürzen sich darauf und sind selig.
An einer Mautstation, wo die Autos ihr Tempo drosseln, verfolgt eine ganze Meute von Halbwüchsigen einen Wagen, Körper drängeln, Arme recken sich und Hände grapschen ins offene Fenster nach den Gaben.
Später beobachte ich, wie aus einem Pick-up, jetzt an der fertig ausgebauten Schnellstraße, wieder Geschenke geworfen werden, für eine kleine Gruppe von Kindern, die auf der anderen Straßenseite lauerten und nun, unter Lebensgefahr, die vier Spuren überqueren. Als sie die Sachen erreichen, ist der edle Spender längst in der Ferne verschwunden. Da gab es weder Blickkontakt, noch Dank oder Gruß. Vielleicht einen kurzen Lichtblick in einem harten Kinderleben auf der einen Seite, und auf der anderen das vage Gefühl, zu Weihnachten irgendwem etwas Gutes getan zu haben.

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8.Dona Esmeralda

Zwischen Potosi und Uyuni, in Bolivien,liegt ein grandioses Bergland. Weites, kahles Steinland zunächst, ab und zu ein Gehöft, mit mühsam angelegten, steinigen Feldern am Hang, die Leute leben von fast nichts. Von einer Hochebene gelangt man in einen Canyon mit irren Felsformationen und Kakteen. Eine Minenstadt weit weg in der Steinwüste, surreal. Dann, weiter unten, ein langer Weidegrund an einem Bach, voller Lama- und Vicunaherden. Immer weiter bergab, durch rotes Gestein mit bizarren Aufwerfungen, kontrastiert mit frischem Grün: Eukalyptusbäume, Felder, Weiden. Mehr Besiedlung hier, kleine Dörfer, Höfe, wunderschön alles!

Es wird Zeit, einen Übernachtungsplatz zu finden. Ein einzelnes Touristenhotel gibt es, eine absurde, großspurig angelegte Bauruine steht nutzlos am Straßenrand. Wir könnten unser Zelt bei der Schule aufschlagen, sagt man uns. Wir sehen einen staubigen Sportplatz, wo gerade ein Fußballtraining stattfindet und fragen uns weiter durch. Ob irgendjemand ein Zimmer zu vermieten habe? Man zeigt uns ein kleines Haus.
Durch die offene Tür sieht man eine Mischung aus Wohnstube, Restaurant und Dorfladen. Das ist Dona Esmeraldas Domizil. Sie hat wie alle Indiofrauen lange Zöpfe, ist von kleiner, breiter Statur, was durch die vielen übereinander getragenen Faltenröcke noch unterstrichen wird.
Sie lacht freundlich. Ja, sie habe ein Zimmer, hinten im Hof. In einem kahlen, fensterlosen Betonraum steht ein einzelnes schmales Bettgestell. Zwei Matrazen gibt es auch, von denen wir eine auf den Boden legen. Sie sehen etwas zweifelhaft aus, aber wir haben keine Wahl und sind froh, ein Dach über dem Kopf zu haben. Durch die Tür sehen wir die Hühner im Hof scharren, die Wäscheleine mit den selbstgestrickten Wollsachen und alles mögliche Gerümpel. Toilette? Dona Esmeralda deutet vage in Richtung der rückwärtigen Hauswand, wo das Dorf auch schon zuende ist. Wasser? Oh ja, stolz zeigt sie uns die öffentliche Wasserpumpe, direkt vor dem Haus.
Später, nachdem sie ihre Schafe vom kargen Weideland auf den Hängen geholt hat, serviert die gute Frau Kartoffeln und Spiegelei in der Stube auf einem wackeligen Tisch mit bunter Wachstuchdecke. Wir beobachten staunend das Sammelsurium um uns herum, da ist eine Vitrine mit Keksen und Konserven, ein Stapel Bierkästen, ein Lager mit Gasflaschen, Säcke mit Kartoffeln und Zwiebeln, und an den Wänden hängen Plakate mit grellbunten Werbefotos.
Nach dem Essen unterhalten wir uns noch etwas, so gut es geht. Über das Wetter. Ich frage, ob es dieses Jahr anders sei als sonst, ob man von “El Nino” etwas spüre.- Nein, alles wie immer. Nach kurzem Überlegen, doch, es gebe Veränderungen. Aber der Grund sei, dass das Ende der Welt nahe sei, der Herr käme bald herab! Sie sagt das voller Ernst und schaut nachdenklich an uns vorbei, auf ein unbestimmtes Ziel. Dann ändert sich ihr Gesichtsausdruck unvermittelt und verschmitzt lachend fragt sie, ob wir nicht noch etwas bleiben wollten, um ihr beim Schafehüten zu helfen.
Am Morgen werden wir früh vom Hahnengeschrei geweckt. Wir zahlen für Kost und Logis und verabschieden uns höflich. On the road again. Kein Schafehüten.
Aber dieser Ort blieb uns noch lange im Gedächtnis – auch weil wir am Morgen mehrere seltsame Stiche am Körper hatten. So nahmen wir ein wochenlanges Andenken an Dona Esmeralda und ihre Matrazen mit auf den Weg.


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9.Mapuche

Von El Bolson nach Esquel in Argentinien sind es etwa 170 km. Dazwischen gibt es keinen Ort.
Die patagonische Weite umfängt einen. Hier, auf der argentinischen Seite im Regenschatten der Andenkette, ist trockenes Grasland. Obwohl das Land absolut leer ist, ziehen sich an beiden Straßenseiten Zäune entlang. Manchmal wird das trockene graubraune Einerlei von riesigen grünschwarzen Rechtecken abgelöst. Es sind Aufforstungen mit Kiefern. Die Bäume sind alle gleich groß und stehen in ordentlichen Reihen.
Die Tage sind lang, es ist Hochsommer, Ende Januar. Die späte Dämmerung verleitet dazu, lange in den Abend hinein zu fahren. Erst als die Hügel sich schon rötlich färben, halten wir Ausschau nach einem Übernachtungsplatz.
An einem Schotterweg, der von der Straße abzweigt, steht etwas weiter weg ein Auto. Ich erkenne mehrere Menschen, darunter eine Frau und ein Kind, die Leute sehen aus wie eine Familie, die von einem Picknick kommt. Ich will mal hingehen und fragen, ob der Bach, der auf der Landkarte eingezeichnet ist, von hier aus zu erreichen ist. Noch bevor ich am Auto bin, haben sich die zwei Männer maskiert, etwas hastig ein T-Shirt um den Kopf geschlungen, so dass ich nur ihre Augen sehe. Sie tragen schmutzige Jogginghosen und Gummistiefel und sehen etwas verwegen aus, aber nicht direkt gefährlich. Ich stelle meine Frage also trotz ihres merkwürdigen Aufzugs. Sie mustern mich etwas misstrauisch und besprechen sich kurz. Aus welchem Land wir denn kämen. Wir sehen wohl wirklich eindeutig wie zwei ahnungslose, ausländische Fahrradtouristen aus, und kein Mensch sonst ist in der Nähe, also fassen sie Vertrauen.
Sie seien Mapuche-Indianer und sie hätten Probleme mit der Polizei. Dies sei ihr Land, aber die Regierung habe es an einen Italiener verkauft. Doch wir könnten weiter hinten über ein Gatter klettern und kämen nach 200 Metern an einen Bach, wo wir zelten könnten. Aber wir sollten aufpassen und am Morgen lieber zeitig wieder verschwinden. Und sicherheitshalber sollten wir ihnen unsere Ausweise zeigen, als Zeichen, dass sie uns vertrauen können. Seltsam das alles! Und doch zeigen wir, bei Sonnenuntergang und mitten in der menschenleeren Pampa, den beiden Lumpengestalten unsere Ausweise, und fragen uns gleichzeitig, was wir hier eigentlich tun! Sie sind beruhigt, vielleicht weil wir keine Italiener sind, grüßen freundlich, und wir fahren weiter zu der beschriebenen Stelle, hieven unsere gesamte schwere Ausrüstung über ein Gatter. Wir landen auf einem Sandweg, der durch trockenes Gesträuch zu einer weiter unten liegenden Böschung führt, die von Weiden bewachsen ist, ein Zeichen, dass es hier tatsächlich Wasser geben muss.
Im Sand sind Spuren von Pferdehufen, und über den Weg sind in unregelmäßigen Abständen Steinreihen gelegt, dazwischen liegen Baumstämme. An einer Stelle bildet ein verkohlter Zweig einen schwarzen Kreis. Blockaden? Geheime Zeichen? Es sieht alles reichlich indianisch aus. Uns wird etwas mulmig und außerdem ist der Bach auch nicht direkt zugänglich, also machen wir schnell den Abflug, obwohl es schon fast dunkel ist. Alles zurück über den Zaun, aufladen, und mit Stirnlampen weiter, in die Nacht.
Ein paar Kilometer weiter ist wieder ein Abzweig, und wir sehen auf dem Navi, dass ein kleiner See in der Nähe sein soll. Also noch zwei Kilometer Schotterpiste im Stockdunkeln. Aber wir stellen fest, dass auch dieser See nicht unseren Vorstellungen entspricht, es ist ein flacher Tümpel, der weit entfernt hinter Stacheldrahtzäunen liegt. Immerhin lässt sich dort ein Kanister Wasser holen, und wir schlagen unser Zelt nahe am Weg auf, denn es ist nicht damit zu rechnen, dass hier noch jemand vorbei kommt. Im sparsamen Schein der Stirnlampen kochen wir endlich unser Abendessen. Während wir uns ganz auf das Gemüseschnippeln konzentrieren, kommt doch noch ein Auto den Weg entlang. Zu spät machen wir die Lampen aus, sie haben uns schon gesehen, verlangsamen, drehen und leuchten suchend in unsere Richtung. “Wer da? Hier spricht die Polizei!”, so oder so ähnlich rufen sie, auf Spanisch. Also geben wir uns zu erkennen und erklären unsere Situation. In Ordnung, wir könnten hier bleiben für die Nacht, aber wir sollten aufpassen, denn es gäbe in der Gegend Probleme mit den Mapuche. Oh, kein Problem, die kennen wir schon, hätte ich am liebsten gesagt. Aber natürlich halte ich den Mund.
Wir schlafen gut und friedlich. Es ist wohl die stillste und sternenklarste Nacht, die wir je erlebt haben. Kein störendes Licht auf der Erde weit und breit, nur das endlose Firmament, die Milchstraße, funkelnde Galaxien und das Kreuz des Südens.
Später erfahren wir: der “Italiener”, der das Land im weiten Umkreis aufgekauft hat, ist niemand Geringeres als die Brüder Benetton, die Besitzer des gleichnamigen Modekonzerns. Und die Stichstraße, an der wir zelteten, führt zu einem von ihnen gesponsorten Museum über Geschichte und Kultur der Mapuche-Indianer. Während sie also diesen Menschen ihre Lebensgrundlage, das Land ihrer Vorfahren, rauben, beruhigen sie ihr Gewissen, indem sie ihnen ein Museum widmen. Verkehrte Welt. Und wir mitten drin…

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10. Nachtbus nach Yangon

Es schüttet. Zum ersten Mal ist es unangenehm kühl. Noch mehr Regen ist angesagt. Der geplante Ausflug zum Wasserfall erübrigt sich.

Wir sind in Pyin U Lewin, in den Ausläufern des Shan-Plateaus im Norden von Myanmar. Das Zentrum der Kleinstadt haben wir in kurzer Zeit abgeschritten: ein Uhrenturm, marode Kolonialvillen, Pferdekutschen und einige Nachfahren von Soldaten des indischen Gorkaregiments, das sind die Hinterlassenschaften der britischen Kolonialherren in diesem abgelegenen Winkel Burmas.
Wir waren neugierig auf das Bergland, aber schon die Fahrt herauf war eine Enttäuschung. Eingehüllt in die schwarzen Dieselwolken von schweren Lastern, die kaum schneller als wir die steilen Serpentinen heraufkrochen, bissen wir mehrere Stunden lang die Zähne zusammen, erreichten die Stadt erst im Dunkeln, bei einsetzendem Dauerregen und verbrachten eine Nacht im erstbesten schäbigen, moderig riechenden Hotelzimmer.

Dann gab es hier nichts mehr zu tun. Selbst der Downhill zurück nach Mandalay verlockte uns nicht bei dem Sauwetter.
Eine kurze Frage bei einem Busticketbüro, eine schnelle Entscheidung, und wir sind stolze Besitzer von zwei Tickets für den „Upper Class“-Bus nach Yangon. Aircondition, Liegesitze. Abfahrt: 18.00 Uhr, geplante Ankunft: 5.00 Uhr morgens.
Alles verläuft reibungslos, unkompliziertes Einladen der Räder, pünktliche Abfahrt, zuverlässiger Fahrer, ruhige Passagiere, keine lästige Musik- oder Videoberieselung, keine Panne – was haben wir auf anderen Busfahrten in Asien nicht schon alles erlebt!

Erst gegen 23.00 Uhr, alle Fahrgäste sind im Tiefschlaf, passiert etwas Ungewöhnliches. Das Licht geht an, und die junge Busbegleiterin im feinen Longyi erhebt sich, stellt sich in den Mittelgang, den Passagieren zugewandt, ergreift ein Mikrophon und setzt zu einer längeren Ansprache an. Zum ersten Mal höre ich ganz bewusst den seltsamen Singsang der burmesischen Sprache, die verschiedenen Tonhöhen, das häufige Anheben der Stimme am Satzende, so dass es immer wie eine Frage klingt, oder wie ein kurzes Zögern. Das Ganze ist sehr rätselhaft, geradezu surreal. Rezitiert sie ein Gedicht? Ein Gebet? Erst als gegen Ende ihrer Litanei die auf englisch gesprochenen Ziffern des Bus-Nummernschildes wiederholt werden, der Bus das Tempo drosselt und auf einen Parkplatz abbiegt, auf dem schon viele andere Reisebusse stehen, dämmert es mir: eine Pinkelpause wurde angekündigt. Wurde auch Zeit…
Das gleiche Ritual wiederholt sich, als wir am frühen Morgen auf die Minute genau in einen Busbahnhof einlaufen. Endstation. Es ist stockdunkel und schüttet in Strömen. Wir sind weit außerhalb von Yangon, in einem Vorort. In Windeseile muss alles ausgeladen werden, auf dem schmalen Asphaltstreifen der Haltebucht ist kaum Platz. Schon wartet der nächste Bus auf Einfahrt. Schnell die Taschen nachzählen und die Fahrräder checken, dass nichts fehlt oder beschädigt ist, dann aufladen und los, irgendwo unterstellen. In der Nähe ist eine Reihe improvisierter Schuppen und offener Wellblechhütten mit Restaurants, die alle gleich desolat aussehen, aber routiniert dabei sind, die Nachtbuspassagiere zu bedienen. Wir sind etwas übernächtigt und müssen uns erstmal sortieren: die Socken und den langärmligen Pulli, die wir im klimatisierten Bus zum ersten und einzigen Mal auf dieser Reise brauchten, wieder in die Tiefe der Taschen zurückstopfen und stattdessen die Regenjacken herauswühlen…
Ich bin ganz von dieser Aufgabe absorbiert, als drei Jungens in gelben Roben plötzlich vor mir stehen. Oh nein! Nicht gerade jetzt! Sie erwarten natürlich eine Gabe. Es passt mir im Moment überhaupt nicht, aber das ist wohl der tiefere Sinn ihres Auftauchens, dass man mitten in der immer so wichtig scheinenden Geschäftigkeit des Alltags an die Ewigkeit und das Einssein alles Seins erinnert wird… Trotzdem, ich will nicht! Und ich meine hinter den frommen Mönchserscheinungen mit den kahlgeschorenen Köpfen die lauernden Gesichter von Achtklässlern zu sehen, die es zu dieser nachtschlafenden Zeit ausgerechnet auf mich wehrlose Falangfrau abgesehen haben und vielleicht eine Wette abgeschlossen haben, wieviel sie wohl herausrückt – und ich gebe ihnen nichts! Die Mönchlein ziehen ungerührt von dannen.
Während ich noch fertigkrame, hat Rolf schon ein Frühstück bestellt. Wir sitzen auf wackligen Plastikstühlen und schauen zu. Der Regen entwickelt sich zu einer wahren Sturzflut, die von den Dächern und vom Bürgersteig in die offene Behausung strömt. Der Koch steht mittlerweile knöcheltief im schlammigen Wasser und wirft mit bloßen Händen verschiedene undefinierbare Zutaten und kalte Nudeln in eine Schüssel und verknetet alles mit einem ordentlichen Schuss Öl und serviert es in einem Plastiknapf – wohl bekomm’s. Ich belasse es lieber bei einem Instantkaffee und ein paar Keksen, die vom Nachtproviant noch übrig sind.
Ein weiter Mönch kommt herein, ein älterer diesmal, ebenfalls auf Almosengang, wie an den nackten Füßen und der großen Schüssel in seiner Umhängetasche zu erkennen ist. Aber dieser sucht nur Zuflucht vor dem Regen. Er bekommt vom Wirt eine Zigarette geschenkt, die er sich mit einem Feuerzeug anzündet, wie sie überall in den Restaurants an Bindfäden von den Dachbalken herabbaummeln.
Diese Mönche beschäftigen mich. Wieso sitzen die nicht in ihrem Kloster und meditieren? Warum müssen sie den kostbaren frühen Morgen in diesem häßlichen Umfeld verbringen? Und auch noch rauchen! Und warum widerstrebt es mir, ihnen was zu geben, und warum beschäftigt mich das auch noch dauernd?
Schließlich lässt der Regen nach. Inzwischen ist es hell geworden. Wir zahlen für die erbärmliche Mahlzeit, den Kaffee und eine Flasche Wasser einen ziemlich überhöhten Preis. So ist das eben an Busbahnhöfen. Und dann denke ich, es ist vielleicht ausgleichende Gerechtigkeit. Soll doch der Wirt den Mönchen dafür wieder mal ’ne Fluppe spendieren…
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11. Philantrophy

Es war einer von den Plätzen, an denen man leicht hängenbleibt und eins ums andere Mal am Morgen beschließt, noch einen Tag zu bleiben: „Checkout tomorrow…“
Ein passables Zimmer etwas landeinwärts, wo die Preise nicht so hoch sind wie am Strand, in einer ganz neuen Anlage, die Einrichtung noch etwas spartanisch, so, als wäre das Geld vorerst alle gewesen, und ein Dorf mit einem lokalen Markt in der Nähe, wo man gutes Essen bekommt, so dass man nicht auf die Touristenrestaurants angewiesen ist – das sind in etwa die Hauptkriterien. Und Ruhe, so weit möglich.

Am Abend kommen wir vom Strand zurück und sehen, dass auf dem großen Vorplatz der Hotelanlage eine Veranstaltung vorbereitet wird. Riesige Lautsprecher, eine Bühne, Stuhlreihen, es ist Freitagabend, und man fürchtet bei einem solchen Anblick erfahrungsgemäß mit gutem Grund um seine Nachtruhe. Ich frage einen der Anwesenden vorsichtig „What is this? Music tonight?“ Er kann kein Englisch, also tippt er etwas ins Übersetzerprogramm seines Handys und zeigt es mir: „Philantrophy“ steht da. Stirnrunzeln meinerseits. Aber ich hake nochmal nach: „What time start?“, frage ich, denn was es auch ist, laut wird es bestimmt. „Tomorrow, 6 o’clock morning“, kommt als Antwort. Ungewöhnlich. Jedenfalls können wir beruhigt schlafen, und was am Morgen passiert, sehen wir dann.
Etwas neugierig sind wir schon, und es gibt eine kleine Bildungslücke zu schließen, was wir dank Internet schnell erledigen. Nein, uns erwartet keine Auktion für Briefmarkensammler, sondern eine Veranstaltung von Menschenfreunden, vielleicht etwas Wohltätiges, Belehrendes, Erbauliches? Wir sind gespannt.

Am frühen Morgen hören wir ein paar Autos einparken und dezentes Gemurmel, und aus den Lautsprechern einen leisen Rhythmus und zirpende Saiteninstrumente. Also sehen wir mal nach, was da passiert. Gerade bildet sich eine Menschenschlange an einem Buffet und eine der Hotelangestellten bedeutet uns mit Gesten, dass, nachdem eben gebetet wurde, jetzt gegessen wird, und dass wir eingeladen sind!
Das nennt man Glück! Und wir lassen uns nicht lange bitten, reihen uns ein, und es gibt Reis, Curry, Fisch, Obst und Süßspeisen, reichlich für alle. Morgens um halb acht. Mit dem Teller in der Hand suchen wir uns freie Plätze am Rande des Geschehens und schauen uns genauer um. Die Geladenen sehen größtenteils aus wie einfache Leute aus dem Dorf, Fischer und Bauern, die ihr gutes Hemd angezogen haben. Auch die örtlichen Polizeiangestellten sind dabei, und in den vorderen Reihen, wo die Plastikstühle mit feinen Bezügen und Schleifen versehen wurden, sitzen ein paar Leute, die wichtig aussehen. Ihnen gegenüber auf einem Podest, direkt vor dem Eingang zur Hotelrezeption, sitzen ein paar Mönche im Schneidersitz, dem Publikum zugewandt.

Nach einer Weile, in der gegessen und zwanglos geplaudert wurde, erhebt sich ein sehr alter, magerer, sanft blickender Mönch vom Podest und wird zur Eingangstür geleitet, vor der er auf einen Stuhl klettert und sich weit nach oben reckt, um langsam mit dem rechten Zeigefinger ein Symbol aus weißen Farbtupfen auf die Glasscheibe über der Tür zu malen. Es wird still in der Menge, und die Menschen legen fromm die Hände vor der Stirn zusammen und verbeugen sich, als der Mönch durch die Reihen schreitet und mit einem Fächer Weihwasser über den Anwesenden versprüht. Dann nimmt er wieder Platz und stimmt eine Rezitation an, in die die anderen Mönche etwas zeitversetzt einfallen. Für einen Moment breitet sich eine sehr heilige Stimmung aus.
Dann verstummen die Mönche, stehen auf und fahren auf der Ladefläche eines offenen Transporters davon. Die Menschen lockern ihre Haltung, und es scheint, als sei der offizielle Teil der Feier vorüber.

So ziehen auch wir uns zurück, nicken hierhin und dahin, etwas unsicher, bei wem wir uns bedanken und verabschieden sollen.

Wir packen gerade im Zimmer die Sachen für einen Tagesausflug, als draußen ohrenbetäubende Musik einsetzt, die bei jedem normalen Menschen sofort einen Fluchtimpuls auslöst. Aber die Stühle werden schon gestapelt und die Veranstaltung ist offensichtlich vorbei. Die Musik wummert und dröhnt aus einem dicken Pickup, der schräg im Weg steht. Wir bitten den Besitzer des Wagens, die Musik mal leiser zu stellen, da wir jemanden fragen wollen, ob es am Abend denn ruhig sein wird. Vielleicht sollten wir doch lieber abreisen. Der Mann stellt sich stur, und sagt nur „No!“ und wird gleich unwirsch, er hat einen undurchsichtigen Blick und riecht schon nach Alkohol. Offensichtlich fühlt er sich gestört bei der Fortsetzung der Feier nach seinem Geschmack. Als Rolf seine Bitte um Ruhe mit Nachdruck wiederholt und einen Verantwortlichen suchen will, wirft er eine leere Plastikflasche hinter ihm her, was für einen Thai schon ein Ausdruck heftiger Wut sein dürfte. Da waren irgendwie die falschen aneinander geraten, und die vorher so friedliche Stimmung droht zu kippen. Mit dem Lächeln ist es vorbei.

Also lieber erstmal los, wir wollten ja einen Ausflug machen. Da rennt plötzlich eine Furie hinter uns her und schreit „You! Checkout!“ Sie lässt überhaupt nicht mit sich reden und versteht auch kein Englisch. Immer wiederholt sie dasselbe. Die Dinge komplizieren sich schnell.
Es bildet sich eine kleine Menschenmenge, alles redet durcheinander, aber es ist keine Verständigung möglich. Endlich wird ein Mädchen mit Englischkenntnissen gerufen. Nach vielem Hin und Her ist alles geklärt und man ist im Begriff sich die Hand zu geben. Da taucht wieder die Furie auf, und besteht mit großem Gezeter darauf, dass wir auschecken. Wir fragen die anderen, wer sie denn sei, die Managerin? Mit ihr selber ist ja nicht zu reden. Ja, das sei „Madame“, sagen die Angestellten, mit vielsagenden Blicken und sehr verlegen.

Da ist nichts zu machen. Madame hat gesprochen. Also packen wir und wollen gerade das Gelände zum zweiten Mal an diesem Morgen verlassen, diesmal mit Sack und Pack und ziemlich aufgewühlt, da läuft uns wieder jemand gestikulierend nach. Der Fernseher in unserem Zimmer sei kaputt! Sie werfen uns also nicht nur hinaus, sondern wollen uns auch noch eines kaputten Fernsehers beschuldigen? Nochmal zurück ins Zimmer, bloß die Fassung nicht verlieren, ganz ruhig bleiben und ihnen zeigen, dass nur der Stecker herausgezogen war! Nun ist die ganze Angelegenheit so peinlich geworden, dass die nette Angestellte, die uns zum Buffet eingeladen hatte, den Tränen nahe ist und uns Geld zur Entschädigung aufdrängen will!

Wie immer glätten sich die Gefühlswallungen und ordnen sich die Gedanken, wenn man erst mal ein paar Kilometer in die Pedale getreten ist.

Die Sache ist so: das Hotel war niegel-, nagelneu und eines von der Sorte, die gerne von den Einheimischen auch als Stundenhotel genutzt werden, da man aus dem Auto sofort inkognito im Zimmer verschwinden kann. Ebenerdig reihen sich die Räume aneinander, jeder mit einem eigenen Eingang und einem Carport davor. Die Feier diente der Einweihung und Segnung des Ganzen, dafür wurden die Mönche herbeizitiert, und das Buffet für die Dorfbewohner wurde spendiert um deren Neid abzuwenden. Und der unangenehme Typ mit dem dicken Auto? Man kann nur spekulieren. Vielleicht ein wichtiger Kunde des Etablissements, vielleicht ein Sponsor von „Madame“. Und was für ein Mensch ist sie? Eine Neureiche, vom schnellen Geld geblendet?

Fragt sich abschließend, was die Mönche von dieser Welt außerhalb ihres Klosters wissen, und von dem, was mit ihrem Segen in den neuen Hotels, Einkaufszentren und Unternehmen geschieht. Ach so, und worin besteht hier die Philantropie?

Nachdenklich geworden fand ich im Internet heraus, dass es eine ganze Grundsatz-Diskussion zum Thema „buddhism and philantrophy“ gibt…

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12. Taiwanesische Gastfreundschaft

Manchmal ist es schon klasse, in einer globalisierten und digitalisierten Welt zu leben!
Man kann z.B. eine kostenlose Unterkunft finden. Es gibt ein weltweites Netzwerk von Radreisenden, die sich gegenseitig beherbergen. Sofern sie gerade selber zu Hause sind.
Man kann auf diese Weise ein Land von innen kennenlernen, bekommt Einblicke in die Wohnungen, Essensgewohnheiten und Lebensentwürfe von wildfremden Menschen, und manchmal entwickeln sich daraus Freundschaften, die Zeit und Raum überdauern. Oft aber auch nicht, dann hat man einfach von jemandem Hilfe angenommen und hilft irgenwann mal jemand anderem. Es ist also ein Geben und Nehmen. Im Internetprofil jedes Mitglieds ist ungefähr ersichtlich, wie die Behausung beschaffen ist und mit wem man sie teilt. So gibt es die ganze Palette, vom eigenem Zimmer mit Bad, über einen Schlafplatz auf dem Fußboden des Gemeinschaftsraums, bis hin zu einem Eckchen im Garten für das eigene Zelt, es gibt Singlehaushalte oder Großfamilien mit Hund und Baby – das ganz normale Leben eben.

Wir nutzen diesen Service nur ab und zu. Praktisch ist es vor allem, bei der Ankunft oder Abreise eine Anlaufstelle zu haben, oder wenn man in einer Hauptstadt ist, wo die Hotels teuer oder ungünstig gelegen sind, oder wenn schlechtes Wetter ist. Oder alles zusammen. Wie in Taipeh.

Am Ende unserer dreiwöchigen Taiwan-Umrundung geraten wir in richtig schlechtes Wetter, Dauerregen, tagelang. Eigentlich wollten wir die letzte Etappe bis ins Zentrum noch schaffen, aber nach 60 km durch strömenden Regen geben wir auf und stranden in irgendeiner südlichen Vorstadt in einem Hotel. Für den nächsten Tag melden wir uns per E-Mail für zwei Übernachtungen bei einem Gastgeber an, der strategisch günstig zwischen der City und dem Flughafen wohnt. So ist vielleicht noch eine Stadtbesichtigung drin, und am Abflugtag können wir morgens mit den Rädern einfach direkt zum Flughafen fahren, denken wir.

Das Okay kommt postwendend, mitsamt einer genauen Wegbeschreibung. Allerdings könne er frühestens um 18 Uhr zu Hause sein. Es ist Januar, und die Tage sind kurz. Es regnet ohne Unterlass. Um 12 Uhr müssen wir aus dem Zimmer auschecken und warten noch ein paar Stunden im Hotelflur ab. Gegen 15 Uhr steigen wir in die Regenklamotten und bringen die 40 km im Regen durch den Großstadtverkehr knapp vor dem Dunkelwerden hinter uns. Wir sind immer noch zu früh dran, also sitzen wir eine weitere Stunde bei einem Pappbecher Kaffee in einem 7-Eleven ab.

Dann suchen wir die Adresse auf, die in einem Wohnviertel mit dichter Bebauung liegt. Es ist inzwischen stockdunkel, der Regen hat die Welt weiterhin im Griff. Wand an Wand stehen schmale zweistöckige Häuser direkt an der Straße, im Erdgeschoss ist jeweils ein eisernes Rolltor, wie zu einem Laden oder einer Garage. Gleichzeitig mit einem Motorradfahrer kommen wir an der gesuchten Hausnummer an. Es ist Chen, unser Gastgeber, von Kopf bis Fuß in einen Plastikanzug gehüllt, der gerade erst von der Arbeit kommt. Das Tor öffnet sich wie von Geisterhand, und wir schieben unsere Bikes in eine geräumige Garage.

Chen ist Ende Dreißig, solo, arbeitet als Gabelstaplerfahrer und wohnt noch bei seinen Eltern. Wir sind seine ersten Gäste! Er ist sehr bemüht, sich souverän und weltmännisch zu geben, und stellt uns seinen Eltern vor. Die wirken etwas verlegen und sind unsicher, wie mit zwei tropfnassen Europäern in ihrem Heim nun zu verfahren ist. Das ganze Haus und die ganze Situation sind erstmal ziemlich befremdend. Bloß gut, dass Chen Englisch spricht! Seine Eltern sprechen einen Dialekt, von dem ich kein Wort verstehe, mit meinen paar Chinesischbrocken ist hier nichts gewonnen.

Wir legen erstmal ab und nehmen nebenbei das Erdgeschoss in Augenschein. In der Garage stehen diverse Zweiräder und Kartons, und an der Rückwand blinken bunte Lichter aus einem großen typisch chinesischen Hausaltar heraus. Dahinter geht es zu einer Art Küche, an einer fensterlosen Kammer vorbei, in die sich der Vater schnell wieder vor seinen Fernseher zurückgezogen hat. Wir werden eine schmale, steile Treppe hinauf geführt und landen in einem Wohnzimmer mit Sofagarnitur, niedrigem Couchtisch und großem Fernseher. Außerdem ist auf dieser Etage Chens Zimmer und das Bad. Noch eine enge Treppe hoch und wir erreichen einen leeren Dachboden, von dem mit Sperrholz ein Zimmer abgetrennt ist, anscheinend ein nicht mehr genutztes Kinderzimmer. Das ist jetzt unser Refugium. Chens Mutter, die ziemlich aufgeregt und irgendwie auffällig wirkt, läuft treppauf und treppab, räumt Gegenstände weg und trägt einen Plastik-Henkeltopf mit Deckel herbei. Ein Pisstopf. Es ist ihr peinlich, aber oben gibt es keine Toilette. Alles ist klamm und kalt, und der Regen prasselt erbarmungslos auf das dünne Dach. Wir fragen uns, ob wir nicht vielleicht doch besser in ein Hotel gegangen wären…

Nach einer warmen Dusche und mit trockenen Klamotten sieht die Lage schon besser aus. Chen bittet uns ins Wohnzimmer. Auf dem Rückweg von der Arbeit hat er zwei große Pizzakartons und eine Zweiliterflasche Limonade mitgebracht, in der Annahme, dass das ein europäertaugliches Abendessen ist. Wir steuern unsrerseits eine Flasche Wein als Gastgeschenk bei, die aber auf wenig Resonanz stößt. Dann setzen wir uns um den Couchtisch, und das Abendessen und Kennenlernen kann beginnen. Die Mutter sitzt dabei, offenbar ist die Couch ihr Stammplatz und auch ihr Bett, und dass jemand ihr Lieblings-Fernsehprogramm, eine Musikshow, abstellt, ist sie nicht gewöhnt. Mehrmals schiebt ihr Sohn sie mit sanfter Gewalt aus dem Zimmer. Aber sie drängelt sich nörgelnd immer wieder herein. Später erklärt uns Chen, dass sie leider nicht mehr ganz richtig im Kopf ist.
Langsam werden wir ein wenig warm miteinander. Chen schwärmt von seiner ersten großen Radtour, die ihn mehrere Monate durch Japan führte. Dort erfuhr er so viel Gastfreundschaft, dass er nun etwas davon an uns weitergeben will. Sein nächstes Projekt: Australien, aber erstmal ist Geldverdienen angesagt. Ich frage, was seine Eltern von seinen Reisen halten. Ein heikles Thema. Natürlich sind sie dagegen. Aber bei dieser Familienkonstellation und den beengten Wohnverhältnissen sind seine Fluchten in eine zeitweise Unabhängigkeit nur allzu verständlich! Doch er muss immer wieder zurück. Seine Schwester ist in Amerika verheiratet, da kann er die Eltern nicht auch noch im Stich lassen. So ist das hier eben, sagt er.

Am nächsten Morgen trage ich den vollen Eimer vorsichtig die Stiege hinunter. Beim Öffnen der Tür fällt eine Eisenplatte scheppernd um und die Mutter schreckt vom Sofa auf. Offenbar ist das ihre Schutzmaßnahme gegen uns Eindringlinge. Chen erscheint sogleich, ihm ist das natürlich schrecklich peinlich. Dann macht sich die Mutter daran, Chens frisch gewaschene Jeans mit einem Föhn zu trocknen, denn er will uns zum Bahnhof begleiten, von wo aus wir mit dem Vorortzug in die City wollen. Er ist wirklich die Hilfsbereitschaft in Person! Nicht nur dass er uns auf dem Rad zum Bahnhof begleitet, er leiht uns auch seine Fahrkarte und organisiert einen sicheren Parkplatz für unsere Fahrräder in der Nähe des Bahnhofs, wo seine Tante einen Friseursalon hat. Diese wiederum lässt es sich nicht nehmen, uns Schirme mitzugeben, denn es regnet ja immer noch. Chen würde uns glatt auch durch ganz Taipeh begleiten, aber als wir vorgeben, uns schon allein zurechtzufinden, ist er ziemlich erleichtert. Kultur ist nicht so sein Ding, und was wir sehen wollen, das Nationale Palastmuseum, ist wie für Pariser der Eiffelturm, Touristenkram eben.

Wir ziehen das dann durch: gut zwei Stunden Fahrt sind es, mit Fahrrad, Vorortzug, Metro und Bus zum Museum, eine Stunde für die hehre Kultur, und alles wieder zurück. Schnell noch eine Tüte Gebäck für die Familie gekauft, in der Hoffnung, dass das eher ihren Geschmack trifft als der Wein.

Wieder werden wir von Hilfsbereitschaft umfangen. Chen meint, wir könnten auch gerne die Waschmaschine und den Trockner benutzen, kein Problem. Aber auch bei weltoffenen, fortschrittlichen Asiaten kann man nicht sicher sein, ob sie wirklich meinen, was sie sagen. Ich bin etwas skeptisch, ob wir das Angebot annehmen sollen, doch Rolf hat schon fröhlich zugesagt. Es stellt sich dann heraus, dass die Waschmaschine sonst nie benutzt wird, denn die Mutter wäscht alles von Hand auf einem Waschbrett in der Badewanne. Es gibt ein mittleres Desaster, als die Maschine, die auf dem Balkon steht, ausläuft und Mutter und Sohn mit aufgekrempelten Hosen durch das knöcheltiefe Wasser waten um mit Besenstielen den verstopften Abfluss freizukriegen. Auch der Trockner ist mit unserem Haufen Zeugs hoffnungslos überfordert, die feuchte Witterung tut ihr übriges. Uns ist das natürlich alles ziemlich unangenehm.

Ein zweiter Abend mit Konversation vorm Fernsehen beginnt, diesmal hat Chen einen Riesentopf Nudeln mit Tomatensoße gekocht. Inzwischen fühlen wir uns etwas vertrauter. Aber wir sind etwas nervös, die letzte Hürde steht noch an und wirft ihre Schatten voraus: wir müssen am Morgen bei Nacht und Nebel (und immer noch Regen) aufbrechen, um den weiten Weg zum Flughafen rechtzeitig zu schaffen. Noch eine Nacht in der kalten Dachkammer, umgeben von unseren halbtrockenen Klamotten, nochmal der Pisstopf und die scheppernde Sicherung der Bodentür, die verwirrte Mutter, der hilfsbereite Chen. Ein schneller Abschied. Zu guter Letzt schenkt Chen uns noch ein richtig gutes, batteriebetriebenes Rücklicht, damit wir in der Finsternis besser gesehen werden.

Den Weg zum Flughafen entlang der Ausfallstraße haben wir geschafft, während der Regen nachließ und es langsam hell wurde. Und der Rest war Routine, das Auseinandermontieren und Verpacken der Räder, das Einchecken, der Flug…
Rückblickend waren diese beiden seltsamen Tage in Taipeh irgendwie eindrücklicher als alle Sehenswürdigkeiten und landschaftlichen Highlights. Und wir hoffen sehr, Chen einmal bei uns zu Hause begrüßen und chinesisch bekochen zu können!

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13. George – In Memoriam

Wir sind am Ende der Halbinsel Panglao ganz im Süden von Bohol angekommen und suchen eine Unterkunft. Nicht direkt am angesagten Alona Beach, sondern abseits, wo es ruhig ist. An einer Nebenstraße werden wir fündig, „George’s Den“ steht auf einem Schild am Wegesrand.
Eine Einfahrt führt in einen Garten, um den sich mehrere kleine Gebäude gruppieren. Ein zweistöckiges Betonhaus, daneben ein kleiner Hof mit angrenzender Hütte, in der offenbar eine philippinische Familie wohnt, sowie ein Bungalow mit überdachter Terrasse, hinten eine Theke mit an die Wand gemalter Speisekarte: Cocktails, Ham’n’Eggs, Baked Beans, Pommes, naja, wem’s gefällt…
Was uns schließlich überzeugt, ist, dass es zum Preis eines Zimmers ein kleines Appartment mit Küche gibt, d.h., dass wir unser Frühstück mit selbstgebratenem Omelett bereichern können. Das könnte einer von den Plätzen werden, an denen man ein paar Tage hängen bleibt…
Ein junges philippinisches Mädchen heißt uns willkommen. Der Besitzer sei Engländer und – dabei senkt sie seltsam verschwörerisch die Stimme – er sei auch gerade da. Im Hof sind einige Menschen, aber wir wollen nicht stören, werden ihn schon später kennenlernen, denken wir und beziehen erstmal die Wohnung und sehen uns am Strand um.
Am nächsten Morgen verabschiedet sich das Mädchen höflich, sie fahre jetzt nach Hause, und braust auf ihrem Motorrad davon. Das verwundert uns leicht, aber eine andere Frau tritt nun als Ansprechpartnerin in Erscheinung.
Später am Abend hören wir aus der angrenzenden Hütte, wie eine Stimme einen befremdlichen Singsang rezitiert, es sind Verse in zwei sich abwechselnden Tonhöhen. Im Hof, direkt vor unserer Tür, ist ein stilles, beständiges Kommen und Gehen von Menschen. Ein Nachbar sei verstorben, heißt es nur. Ist da eine Totenwache, gleich nebenan? Auch am nächsten Tag sind noch viele Menschen dort anwesend, aber es wird wieder gelacht, Bier getrunken und Karten gespielt.
Erst als wir abreisen erfahren wir, dass George, der Eigentümer des Anwesens, am Vorabend unserer Ankunft dortselbst verstorben ist, im Alter von 79 Jahren, und nur ein paar Schritte von unserem Zimmer entfernt aufgebahrt lag. Das Mädchen hatte uns das verschwiegen, vielleicht in der gut gemeinten Absicht, das Geschäft nicht zu verderben. Aber genau das wurde ihr zum Verhängnis, und sie verlor ihren Job.
Also haben wir George nun doch nicht mehr kennengelernt. Nichts wissen wir von ihm, außer dass er sich für die letzten 14 Jahre seines Lebens an einem angenehmen, aber fremden Ort niedergelassen hat, an dem er letztlich auch beigesetzt wurde, weil in seinem Heimatland niemand mehr nach ihm gefragt hat.
Wir wünschen seiner Seele eine gute Heimkunft…
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14. Leo, der Löwe unter den Ländersammlern

Wir sind im Fahrrausch. Es ist eine lange, abwechslungsreiche Tagesetappe über Berg und Tal. Unten an der Küste spüren wir plötzlich die Müdigkeit und den Durst. Wir machen Halt, irgendwo am Straßenrand, zwischen den üblichen Läden und Motorradwerkstätten am Ortsende irgendeiner Kleinstadt, um uns zu orientieren. Nicht dass es viele Optionen gäbe. Wenn man auf der philippinischen Insel Bohol nach Anda will, muss man sich rechts entlang der Küste halten und eigentlich immer nur geradeaus fahren, bis die Straße aufhört. Die Frage ist nur, ob man vor dem Dorf in einem der vielen Strandresorts absteigen will oder lieber im Ort selbst übernachten will.
So sind wir, die wir voll digitalisiert im 21. Jahrhundert angekommen sind, ganz vertieft in drei verschiedene Bildschirme, das Tablet, auf dem der Reiseführer als E-Book gespeichert ist, das Navi und zur Sicherheit noch in eine offline- map auf dem Smartphone und versuchen im gleißenden Sonnenlicht etwas zu erkennen.
Da hält plötzlich ein Radfahrer hinter uns an. Mit voll bepacktem Reiserad, einem großen Rucksack auf dem Rücken, verschwitzt und zerzaust und offensichtlich schon länger unterwegs. Wir sind vollkommen überrascht, denn seit Monaten sind wir diesmal unterwegs, ohne einen anderen Radfahrer zu treffen, mal abgesehen von den einheimischen Sportlern, die frühmorgens ihre Runden drehen. Fröhlich, aber etwas schwerfällig begrüßen wir uns auf Englisch. Nach wenigen Worten stellen wir erleichtert fest, dass wir auf eine gemeinsame Sprache umsteigen können. Denn Leo ist Schweizer.
Er zieht eine Landkarte aus der Hülle auf seiner Lenkertasche, eine grobe Übersichtskarte der Philippinen, faltet sie auf und zeigt uns wo er überall war. Die Philippinen macht er im Schnelldurchlauf, im Vergleich mit uns jedenfalls, und vorher war er in Japan, Südkorea und Taiwan! Wow!
Man kommt ins Erzählen und die Umgebung ist wie ausgeblendet, kaum registriert man den Verkehr, der vorbeirauscht, die Menschen auf der Straße und den Lärm aus der Werkstatt, vor der wir zufällig gerade stehen.
Dann besinnen wir uns, denn es ist noch ein Stück zu fahren, und schnell ist klar, dass wir für diesen Abend ein gemeinsames Quartier suchen. Es gibt noch viel zu erzählen.

Später beim Tee und einem gemeinsamen Abendessen erfahren wir Leos Geschichte.
Er ist 61 Jahre alt, unverheiratet und gläubiger Katholik. Bis zu seinem 45. Lebensjahr lebte er mit der Mutter auf dem heimischen Bauernhof in der Schweiz, ein arbeitsames, bodenständiges Leben.
Nach dem Tod der Mutter unternahm er die erste größere Reise, er fuhr mit dem Rad auf dem Jakobsweg nach Spanien. Kurz später erhielt er einen Anruf aus Amerika, wo seine Tante als Ordensfrau lebte. Sie liege im Sterben und wünschte ihn, ihren einzigen Verwandten, noch einmal zu sehen. Ohne ein einziges Wort Englisch zu sprechen reiste er nach Kalifornien und begab sich in das Kloster seiner Tante. Zusammen mit ein paar eingewanderten Novizinnen besuchte er dort einen Englischkurs – und das war der Beginn eines neuen Lebens, denn die englische Sprache war, wie er begeistert feststellte, der Schlüssel zur Welt!
Seitdem ist er jeden Winter mehrere Monate unterwegs und durchquert völlig unerschrocken, allein und in tiefem Gottvertrauen die Kontinente. Ohne Navi und Smartphone wohlgemerkt. Oldstyle, mit richtigen Landkarten. Und ohne sich um Tagesetappen und Unterkünfte zu sorgen. Abends schlägt er sein Zelt auf oder steuert die Dorfkirche an und bittet in der Pfarrei um Nachtlager. Die katholische Kirche ist rund um die Welt sein Zuhause, sein Anker, sein soziales Umfeld. In der Frühmesse schöpft er Kraft für den Tag und manchmal gibt es auch noch ein Frühstück beim Priester. So zieht er beharrlich durch die Welt und schreckt auch vor Härtetouren nicht zurück. Er durchquerte Zentralafrika, das australische Outback und den Amazonasdschungel. Hundertausend Kilometer, durch wer weiß wie viele Länder. Die Flugtickets kauft er im heimischen Reisebüro und bucht sie notfalls telefonisch um, falls er früher oder später als gedacht mit seiner Route fertig ist.
Im Frühling kehrt er heim und widmet sich mit Leib und Seele dem Obstanbau. Erdbeeren, Kirschen, Heidelbeeren, alles wird eigenhändig gezogen, geerntet und vermarktet. Bis im Spätsommer langsam ein neues Reiseziel im Kopf Gestalt annimmt.
Leo – einen echten Abenteurer haben wir da getroffen! Ach ja, und sein Englisch erst! So abenteuerlich, wie man es sich bei einem Schweizer Autodidakten älteren Semesters nur vorstellen kann. Und absolut selbstbewusst ist er dabei, schließlich hat er sich überall durchgeschlagen. Als Alleinreisender lässt man sich sowieso grundsätzlich keine Unsicherheit anmerken. Unnachahmlich!

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15. Der alte Mann und das Haus

„Kommt mal her“, sagt der alte Mann leise. Er steht am Rand der ungepflasterten Dorfstraße und winkt uns zu sich. Er sieht uns aus freundlichen Augen an und lächelt. Sein Mund ist fast zahnlos. Seine Kleidung ist etwas schäbig, aber nicht unordentlich. Die Hose ist ihm zu weit. Ich schätze ihn auf weit über 80 Jahre.

Wir spazieren an unserem letzten Tag durchs Dorf, ohne Ziel. Wir haben Zeit.

„Ich habe ein Haus zu verkaufen,“ sagt er, als wir neben ihm stehen.
Wir sehen uns an. Es gefällt uns hier, aber nie wären wir auf die Idee gekommen, hier nach einem Haus zu suchen. Doch manche Dinge im Leben fliegen einem zu, gerade wenn man nicht danach sucht.

„Wollt ihr es sehen?“
Wir folgen ihm. Es ist ein kleines ebenerdiges Haus mit zwei Zimmern. Ein Fundament aus Beton, darauf vier Wände mit Fensteröffnungen, vor denen Säcke hängen, ein Wellblechdach. Fertig. Der Mann fingert einen Zettel aus seiner Hosentasche und faltet ihn umständlich auseinander. Es will ihm nicht gelingen, die Finger sind zittrig. Schließlich schafft er es. Auf dem vergilbten, zerschlissenen Zettel ist nichts als eine dünne Bleistiftlinie zu sehen, die den Umriss des Hauses darstellen soll. Dazu gehören 500 Quadratmeter Grundstück mit wild wucherndem Zuckerrohr. Warum er es denn verkaufen wolle? Seine Señora sei verstorben, und für ihn allein sei es zu groß. Und der Preis? „250. Nein, 280“, verbessert er sich schnell. Wir rechnen kurz nach. 280 Pesos wären keine 13 Euro. „Pro Quadratmeter?“ „Nein, für alles. Haus und Grundstück“, sagt er ausdrücklich. Das kann nicht sein. Wo ist der Haken? Vielleicht ist er auch nicht mehr ganz klar im Kopf? Wir kratzen eine 280 mit dem Stock in die Erde. „Ja, richtig, 280, exactamente“, bestätigt er.

Nun wollen wir der Sache auf den Grund gehen. Nicht dass wir ernsthaft Interesse an der Bauruine gehabt hätten. Um auf das Grundstück zu gelangen, muss man zwischen dem Haus des Sohnes und einer gewaltigen grauen Mauer hindurch. Diese gehört zum Rohbau einer für das kleine Dorf viel zu großen Kirche, einer weiteren Fehlplanung, wie es scheint.

Wir fragen den Sohn, sehr vorsichtig. Sein Vater habe gesagt, und so weiter, und ob das denn stimme…. „Ja, klar!“, kommt die Antwort, ohne zu zögern, „Wieviel bietet ihr denn?“ Statt einer Antwort fragen wir nach Details, und plötzlich wird es sehr konkret: Es fehlt noch ein Wasseranschluss, der kostet 1500 Pesos. Das Wasser kostet ganze 30 Pesos pro Jahr. „Und das Abwasser?“, frage ich. „Wir haben hier vulkanischen Boden.“ Soll heißen, es versickert einfach. Fenster kosten 800 Pesos pro Stück. Dann kommt noch die Notargebühr von 700 Pesos dazu, und das Taxi in die Stadt, 40 Pesos. Morgen ist Samstag, vor Weihnachten, da hat das Büro noch geöffnet. Das wär’s auch schon.

Weihnachten im eigenen Heim? Für 15 Euro? Und nur noch „wenige Handgriffe“ zu tun, ein bisschen Farbe an die Wände…

„Darüber müssen wir erstmal nachdenken“, ziehen wir uns aus der Affäre und gehen runter zum Strand. Ist ja schon schön hier. Aber Besitz bindet. Auch wenn er fast geschenkt ist.

Auf dem Rückweg spricht uns noch einmal der Sohn an. Sein Nachbar habe auch gerade ein Grundstück verkauft, aber das habe 300 000 Pesos gekostet, ohne Haus. Endlich fällt der Groschen. „Und das von deinem Vater kostet nur 280, mit Haus?“ „Ja, klar. Nur 280 000 Pesos. Ist doch billig, oder?“

Erleichtert über diese drei Nullen Missverständnis reisen wir am nächsten Tag ab. Und behalten die drei Tage in diesem Dorf am Meer in ungetrübter Erinnerung.

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Judy

Wir waren die ganze lange Hitzeperiode des Sommers 2018 durch die Berge und über die Plateaus in Nordamerika geradelt. Auf der Höhe waren die Temperaturen erträglich. Aber von Cedar City aus ging es rasant abwärts. Fast 1000 Höhenmeter sausten wir auf der Interstate hinab und landeten ziemlich unvermittelt in der mittäglichen Gluthitze des kleinen Städtchens Hurricane, am Rande der Mojave-Wüste. Wir waren bei Judy angemeldet. Nach etlichen Nächten im Zelt und einer überwältigenden, aber anstrengenden Strecke durch die unbeschreiblichen Naturwunder Utahs freuten wir uns auf ein Dach über dem Kopf und eine Dusche.

Doch erstmal stillten wir unseren Durst. Es war zu einer Art Ritual geworden, uns an den Tankstellen-Stores eine Coca Cola zu teilen, die wir eiskalt aus der Zapfanlage direkt in unsere Trinkflasche füllten, als Abwechslung zu den vielen Litern brühwarmem Leitungswasser, die wir täglich hinunter schütteten. Diesmal ließen wir uns besonders viel Zeit dabei, in der schönen Kühle des klimatisierten Ladens wurde uns die Hitze draußen erst so richtig bewusst. Draußen parkte gerade ein Pickup ein, und wieder einmal staunten wir nicht schlecht über dieses kleine Schauspiel amerikanischer Realität. Schwerfällig stiegen zwei Männer und zwei Frauen aus, indianische Ureinwohner, allesamt extrem übergewichtig. Ihr Einkauf unterschied sich kaum von unserem, nur dass jeder von ihnen einen gewaltigen Einwegbecher mit dem süßen Gift zum Auto trug. Wir sahen zu, wie das Auto tief einsank, als sie sich wieder auf die Sitze fallen ließen.

Dann suchten wir Judys Haus. Auf der Hauptstraße einmal durch die Kleinstadt und ein gutes Stück nach dem Ortsende links ab in eine kleine Siedlung aus schmucken Einfamilienhäusern. Auch wenn man dank Internet aus der Gastgeber-Profilseite schon ungefähr weiß, wer einen erwartet, ist es immer wieder spannend, wie sich eine Begegnung im realen Leben gestaltet.

Wir schieben die Räder eine kleine Einfahrt hoch und staunen über einen Vorgarten, der sich sehr von den supergrünen Grasflächen in der Nachbarschaft unterscheidet: ein geschmackvolles Arrangement aus Steinpyramiden, Kakteen, Felsblöcken und Skulpturen.

Eine ältere, freundliche Dame öffnet und heißt uns willkommen. Das ist Judy. Wieder erleben wir eine herzliche, unkomplizierte und großzügige Gastfreundschaft, für die man sich gar nicht genug bedanken kann! Wir laden die Räder in der Garage ab, bekommen unsere Unterkunft, ein ehemaliges Kinderzimmer, gezeigt und machen uns bei einem Begrüßungsdrink etwas bekannt.

Judy hat vor vielen Jahren, nach ihrer Scheidung, einen neuen Lebensabschnitt begonnen. Sie war mit ihren Töchtern hierher gezogen und hat ein dem Wüstenklima angepasstes Gartenkonzept entwickelt, ganz ohne Rasenflächen, die aufwendig bewässert werden müssen. Durchs Wohnzimmerfenster sehen wir eine große Steinspirale, Kieswege und eine Buddhafigur – es ist ein richtiger Zengarten, in dem jeder Winkel schön gestaltet ist und zum Meditieren einlädt. Außerdem hat Judy im fortgeschrittenen Alter das Tourenradeln entdeckt. Sie berichtet von einigen großen Reisen. Leider musste sie damit erstmal aufhören, wegen mehreren Rippenbrüchen nach einem schlimmen Sturz von einer Leiter. Um sie zu pflegen war Alice, eine ihrer erwachsenen Töchter, wieder zu ihr gezogen. Irgendwie war sie nach Mutters Genesung dann dort hängengeblieben.

Dann dürfen wir duschen, die Waschmaschine füllen und uns ausruhen! Und Judy liest uns noch einen unausgesprochenen Wunsch von den Lippen ab, wir dürfen einen Pausentag bei ihr einlegen, also zwei Nächte bleiben!

Am nächsten Tag kam mittags ein weiterer Gast, Jan, ein Tourenradler aus Deutschland. Witzigerweise wussten wir schon länger, dass er auf der gleichen Route wie wir unterwegs war, aber immer eine Tagesetappe hinter uns. Bei drei frühreren Warmshower Gastgebern war er für den Folgetag angemeldet gewesen. Nun lernten wir ihn endlich kennen.

Für den Nachmittag lud Judy uns alle zu einem Ausflug mit ihrem Auto ein, sie wollte uns die Umgebung zeigen. Wir hatten nichts gegen eine kleine Fahrt im klimatisierten Wagen einzuzwenden und fanden das zur Abwechslung sehr bequem.

Beim ersten Ziel waren wir schier sprachlos vor Staunen: Es war eine Siedlung von schicken Villen, die sich um eine kleine Flugzeuglandebahn gruppierten, und zu jedem Haus gehörte ein eigener Hangar mit einem Privatflugzeug. Das Ganze lag in einer unwirtlichen, vor Hitze flimmernden Senke, am Rande der Wüste. Weiter ging es zu einem riesigen Stausee, der tiefblau zwischen dem kargen Graubraun der Steinwüste schimmerte. Es war ein Spielplatz für die verschiedensten Wassersport-Fahrzeuge der Reichen, die auf großen Anhängern hertransportiert wurden.Wir stiegen kurz aus, und mir war ganz schwindelig, von der Hitze und Helligkeit draußen, von der Gewaltigkeit der Landschaft, der Maßlosigkeit des Luxus und von dem ungewohnten Autofahren.

Auf dem Rückweg überholten wir einen Radfahrer mit Gepäck. Jan erkannte ihn sofort, denn er war am Vortag ein Stück mit ihm zusammen gefahren. Wir hielten an, und es wurde vereinbart, dass er auch noch in Judys Haus übernachten sollte. Sie fand es ganz normal, außer uns beiden auch noch zwei fremde Männer bei sich einzuquartieren, auf dem Wohnzimmerteppich war schließlich noch viel Platz…

So kam es, dass wir abends in großer Runde beim gemeinsam zubereiteten Mahl um den Esstisch saßen, vier ausgehungerte Radfahrer, die unverdrossene Judy und Alice, ihre Tochter, eine überaus schlanke und zerbrechlich wirkende, introvertierte Frau mittleren Alters, die etwas befremdet schien, angesichts der Portionen, die wir uns auf die Teller häuften.

Am nächsten Morgen winkte sie uns in ihr Zimmer. Es war ein winziges Mädchenzimmer, über und über angefüllt mit Malsachen, einer Staffelei und fertigen Zeichnungen und Bildern, die alle möglichen Phantasiegestalten und Geistwesen darstellten, alle von Alice selber gemalt. Sie lebte dort ganz zurückgezogen, in ihrer eigenen Welt der Innenschau und Visionen und wirkte so ganz anders als ihre Mutter, die energisch, schwungvoll und gesellig der Einsamkeit und dem Älterwerden trotzte.

Der Abschied kam, und nachdenklich verließen wir dieses eigentümliche Gespann.
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Curtis

Was uns auf der Gastgeber-Profilseite neugierig machte: die rekordverdächtige Liste der begeisterten Feedbacks. Was ist das für ein Mensch, fragten wir uns, bei dem sich so viele Gäste wohl gefühlt haben?

Mit Rückenwind waren wir von Missoula, Montana, durch das Bitterroot-Tal gesaust, hatten ein Bad im Fluss genommen, uns im 1-Dollar-Markt mit Vorräten eingedeckt und erreichten um18 Uhr die kleine Stadt Darby. Sie besteht aus wenig mehr als einer Hauptstraße mit Läden und Saloons, alle mit Holzfassaden, die einen Wild-West-Charme ausstrahlen.

Wir sehen ein ebenerdiges, einfaches Holzhaus auf einer großen Wiese. Am Gartentor hängt ein unübersehbares Schild mit dem Warmshowers-Logo. So leicht war noch keiner zu finden.

Ein etwas korpulenter, freundlich blickender Mann öffnet und begrüßt uns verbindlich. Auf Anhieb spüren wir, hier sind wir willkommen, und die Chemie stimmt. Er ist unkompliziert, humorvoll, unaufdringlich. Routiniert zeigt er uns, wo wir schlafen und duschen können und wie wir uns in der Küche zurechtfinden. Über dem Herd hängen ordentlich jede Menge Töpfe und Pfannen. Dann lässt er uns allein.

Später erzählt er von seinem Werdegang, eine wahrhaft bewegte und bewegende Biografie: als junger Soldat hat er von 1989-91 die deutsch-deutsche Grenze bei Fulda/Schlitz bewacht und war Zeuge der dramatischen Veränderungen. Sein Interesse an der deutschen Kultur und Sprache gingen damals jedoch leider über das Bestellen von Bier kaum hinaus, gibt er zu. Die militärische Laufbahn führte ihn weiter in den Irak und nach Kirgistan. Dann folgte ein Studium. Die nächsten 20 Jahre arbeitete er als Lkw-Fahrer, und seit einiger Zeit ist er Ausbilder. Man könnte sich also bei ihm in einem dreiwöchigen Lehrgang zum Truckdriver umschulen lassen. Aber sein Traum ist es, noch einmal zu studieren um Geschichte zu lehren. Inzwischen ist er vom Schwerlasterfahrer zum Radfahrer mutiert. „Von 18 Rädern zu 2 Rädern“, steht auf seiner Visitenkarte. Seit drei Jahren ist er Mitglied im Warmshowers-Netzwerk und hatte in dieser Zeit schon über 200 Gäste! Jeder ist willkommen, niemand wird abgewiesen. Es gibt zwei Gästezimmer, ein Matratzenlager im Keller und jede Menge Platz zum Zelten im Garten. Sein Gästebuch ist eine wahre Fundgrube!

Am Abend führt er uns in den Keller. Dort hängt eine riesige, mit Nadeln gespickte Weltkarte an der Wand, und wir dürfen eine Stecknadel in unsere Heimat, mitten ins kleine Europa pieken.

Dann zeigt er uns sein Allerheiligstes. In der hintersten Kammer bewahrt er seine Army-Auszeichnungen und Erinnerungen auf. Neben vielen Fotos, die ihn als jungen Sergeant in Uniform zeigen, ist da, sorgfältig gerahmt, ein Stück des innerdeutschen Stacheldrahtzauns.

Dieser Mensch hat mich sehr beeindruckt. Seine grenzenlose Gastfreundschaft rührt aus Nächstenliebe, und außerdem ist da ein große Wissbegierde, er möchte von den Radreisenden lernen, ihre Ausrüstung erklärt bekommen, von ihren Erfahrungen profitieren. Denn mit den eigenen Touren ist er noch ganz am Anfang. Ein schickes Mountainbike ist schon da. Aber die Kondition und der Mut müssen noch reifen. Länger als fünf Tage hat er sich noch nicht weg getraut.

Aber was ganz sicher ist, wo immer er später mal hinfährt, wird man ihn mit offenen Armen empfangen. Auch in Deutschland, auf ein Bier und etwas Kultur.

Und sein aktueller Plan nimmt auch schon Gestalt an: Im Sommer will er zurückkehren zu den Stellen, wo er 1989 als amerikanischer Soldat die Wende miterlebte. Mit dem Fahrrad will er das „Grüne Band“, bzw. den „Iron Curtain Trail“ auf dem ehemaligen Grenzstreifen von Tschechien bis an die Ostsee abfahren.
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Sue und Steve

Es ist unser vorletzter Tag in Südkalifornien, wir fahren die Pazifikküste runter, immer weiter nach Süden. Es geht auf steilen Nebenstraßen durch Villenviertel mit Meeresblick (viel zu gucken) und dann auf einem stark befahrenen Freeway durch ein ödes Militär-Sperrgebiet (Scheuklappen an und durch). UV-Strahlen im Überfluss und ein zäher Gegenwind machen die Strecke zusätzlich anstrengend. Zwischendurch ein Müsli-Picknick, hoch oben auf der Steilküste, mit Blick auf die gewaltigen Wellen, in denen Surfer kämpfen. Nächster Stop: an einer Tankstelle in Carlsbad, eine Pause muss sein, und der Körper braucht – ja was? Was Süßes? Was Nahrhaftes? Kaffee oder Cola? Noch ehe wir den Laden betreten, kommt ein junger Mann auf uns zu und schenkt uns einen Karton mit abgepackten Sandwichs und einen großen Becher eisgekühlte Limonade, einfach so. Toll! Als wüsste er, was wir gerade brauchen! Auf unseren fragenden Blick und überschwenglichen Dank hin winkt er nur ab, er wolle einfach nur nett sein, dann steigt er in sein schickes Auto und fährt winkend davon. So sind sie, die Amis.

Am Abend sind wir bei Sue und Steve in einem Vorort von Encinitas angemeldet. Der Weg zieht sich und wir sind etwas spät dran. Wir kommen in eine typisch amerikanische, abgelegene Einfamilienhausgegend, alles feine Anwesen mit breiten Einfahrten und gestylten Vorgärten. Kein Mensch ist auf den Straßen zu sehen, höchstens mal jemand, der den Hund ausführt. Ohne Auto ist man hier aufgeschmissen.

Wir klingeln und werden von einem freundlichen Paar in einen weitläufigen offenen Wohnbereich gebeten, mitsamt unseren Rädern. Wir zögern etwas, unser staubiges Zeug in dem feinen Ambiente abzuladen. No problem, wir haben Hunde, die bringen auch Dreck rein, sagen sie nur. Und da kommen sie auch schon zur Begrüßung, zwei langbeinige schlanke Edelhunde.

Ein Super-Gästezimmer mit Bad, ein ganzer Stapel flauschiger Handtücher, alles ist sehr luxuriös. Und dann werden wir auch schon in der Küche erwartet. Die beiden haben schon gegessen, aber wir dürfen uns bedienen, mit Rohkostsalat und Lasagne. Alles hundertprozentig vegan und glutenfrei, wohlgemerkt, aus Maismehl und mit Mandelkäse überbacken. Schmeckt aber ganz gut.

Dass wir bei richtigen Gesundheits- und Sportfanatikern gelandet sind, erfahren wir im Tischgespräch. Beide sind um die 50, die Kinder sind aus dem Haus. Neben ihren lukrativen Jobs (sie: Eventmanagerin, er: IT-Profi für Hightech-Bauelemente oder so) ziehen sie ein strenges Trainingsprogramm durch. Sue ist erfolgreiche Thriathletin, die beste weit und breit in ihrer Altersklasse, und nebenberuflich coacht sie noch andere Wettkampf-Besessene. Sie entschuldigt sich schon bald, um 20 Uhr gehe sie zu Bett. Es ist Samstagabend. Aber das Zeitfenster ist eng. Steve genehmigt sich noch ein Glas Wein und taut etwas mehr auf, stellt höflich ein paar Fragen zu unserer Reise und unserem Leben. Als Rolf von seinen musikalischen Interessen spricht, greift er sogar zu einer verstaubten Gitarre, und versucht sich an einem Song. Aber so richtig will die Stimmung nicht aufkommen, wir haben nicht sehr viele Berührungspunkte, merken wir. Vielleicht sind wir auch einfach zu müde.

Am frühen Sonntagmorgen werden ich von einem sirrenden Geräusch geweckt. Es ist noch dunkel. Ich linse durch die Tür in den Wohnbereich, da sitzt Sue schon auf einem Hometrainer. Nicht so ein normaler, sondern ein Rennradsimulator. Sie wärmt sich auf für das Lauftraining, zu dem sie dann verschwindet. Steve ist auch schon auf dem Sprung, in Shorts und mit Flaschengurt bewaffnet verabschiedet er uns. Wir sollen uns in der Küche bedienen und einfach die Haustür abschließen und den Schlüssel in den Briefkasten werfen, wenn wir aufbrechen. Und weg ist auch er. Was für eine Disziplin! Und was für ein Vertrauen uns gegenüber!

Wir sind allein mit den Edelhunden im Edelhaus und lassen es ruhig angehen. Wir baden im Pool und staunen über die bombastischen Terrassenmöbel und den Grill – haben die beiden überhaupt jemals Zeit für sowas? Dann wollen wir Frühstück machen. Gar nicht so einfach. Die Schränke sind voller Dosen mit Proteinpulver und dergleichen. Zum Glück haben wir noch Brot und Eier. Aber Milch, Zucker und Brotaufstriche oder Käse suchen wir vergebens. Die passen nicht in den Ernährungsplan. So streue ich etwas Süßstoff auf den Toast, „zero calories“. Lecker.

Dann werfen wir noch einen Blick in das Designer-Wohnzimmer. Eine Ecke mit den Triathlon-Trophäen und Auszeichnungen, ein paar Fotos von den Kindern. Die Hunde schlafen auf ihren Decken. Der Hometrainer steht still. Alles wirkt seltsam unbeseelt. Ich glaube, die beiden „wohnen“ hier gar nicht wirklich. Ihr Leben wird von Arbeit und Ehrgeiz diktiert. Hohe Ziele werden gesetzt und dank selbstauferlegter Zwänge auch erreicht. Die Trainings- und Ernährungspläne kennen kein Pardon. Der Körper ist eine zu Höchstleistungen fähige Maschine, die optimalen Trainingseinheiten, die richtige Pulsfrequenz, die erforderlichen Nährstoffe, alles ist berechenbar. Auch der Wille ist trainierbar. You can make it! Erfolg ist machbar – aber macht er auch glücklich?

Wir sagen den Hunden Tschüß, schließen die Tür und ziehen wieder mal nachdenklich von dannen.
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Joe’s Restaurant

An unserem letzten Abend beim Volk der Batak am Lake Toba besuchen wir Joe’s Restaurant. Im Vorbeifahren hatten wir oft einen Blick hinein geworfen: ein offener Raum, der gleichzeitig als Wohnzimmer der Familie und Gaststube dient und abends mit Brettern verschlossen wird. Meistens war kein Gast zu sehen.

Eine ältere, in die Breite gegangene Frau nimmt unsere Bestellung auf, Batak Chicken und Avocadosaft, und verschwindet hinter einer Bretterwand.

Nach einer Weile gesellt sich ein einäugiger älterer Mann, Joe höchstpersönlich, zu uns und serviert das Getränk. Während seine Frau im Hintergrund Kokosnuss raspelt und Gewürze mahlt, alles von Hand, entspinnt sich ein längeres Gespräch.

Der Avocadoaft, eher ein grüner Brei, ist mit Schokoladensauce garniert. In unseren Augen eine seltsame Kombination. Aber hier wächst ja Kakao im Überfluss, da liegt das vielleicht nahe, denke ich. Ich frage Joe, ob die Sauce aus den heimischen Kakaobohnen gemacht wurde. Er lacht, nein, unser Kakao wird nach Europa exportiert und kommt als fertige Schokolade zurück – that’s the marketing system! Die überteuerte Schokosauce in Plastiktuben, natürlich vom globalen Marktführer, war mir in den Supermarktregalen schon aufgefallen.

Unser Gastgeber hat sich soeben als aufgeklärter Mensch, als Kenner der Weltwirtschaft und des 21. Jahrhunderts dargestellt. Was dann kommt, passt aber so gar nicht in das Bild. Irgendwie kommt er auf das Thema Religion zu sprechen. Er glaube an drei Geschichten, verkündet er. An die von Noah, Moses und Jesus. Und schon fängt er an, in Einzelheiten zu erzählen, wie Noah die Arche auf einem Berg baute… Es ist ein längerer Vortrag zu befürchten, so unterbreche ich ihn mit einer taktischen Frage: ob denn alle Batak Christen seien? Er bestätigt das eifrig. Aber früher seien die Batak Animisten gewesen, und es hätte rituellen Kanibalismus gegeben. Die ersten beiden Missionare hätten keinen Erfolg gehabt, sie seien verspeist worden. Der dritte aber, ein Deutscher namens Ludwig Nommensen sei klüger gewesen, er lehrte die Eingeborenen zuerst lesen und schreiben, und verkündete dann die frohe Botschaft. Joe spricht voller Verehrung von diesem Mann.

Zum Beweis für die Größe Gottes stellt er einen einfache Rechnung auf: Zwei Männer brauchen für den Bau von einem Haus, sagen wir zwanzig mal dreißig Fuß, zwei Monate. Gott aber hat die ganze Welt in sechs Tagen erschaffen! Wenn das nicht überzeugt! Er sagt das voller Ernst und steigert sich ziemlich in diese Bewunderung hinein. Es riecht etwas nach Fanatismus.

Eine Diskussion scheint zwecklos, und mit dem Stichwort Evolution braucht man diesem gottesfürchtigen, naiven Mann schon gar nicht zu kommen.

Dann lieber Themenwechsel: Haben Sie Kinder? frage ich. Eine rhetorische Frage, denn natürlich hat er welche. Sechs Stück! Er ist voller Stolz. Und alle hätten einen Hochschulabschluss! Der Staat würde zwar mittlerweile für maximal zwei Kinder plädieren, aber er traue der Regierung nicht, deshalb hätte er sechs Kinder „gemacht“. Seine Frau wirtschaftet derweil immer noch allein in der Küche herum, wir können sie also nicht nach ihrer Meinung fragen. Bis zum Jahr 2030 würde die Bevölkerung Indonesiens auf 400 Millionen anwachsen, ergänzt Joe zuversichtlich. Aktuell sind es 270 Millionen. Ich frage vorsichtig, ob er glaube, dass für alle diese Menschen genug Nahrung da sein wird. Seine Antwort: Das liegt allein in Gottes Hand!

Nicht schon wieder, denke ich, und frage mich allmählich, wann unser Essen fertig ist – das liegt allein in der Hand seiner Frau.

Rolf ist seit einer Weile unauffällig auf die Straße verschwunden. Mir schwirrt schon der Kopf, und ich denke an Überbevölkerung, Schwellenländer, Klimawandel und die Bücher, die ich zuletzt las, „10 Milliarden“ und „Die Menschheit schafft sich ab“. Dieser Mann sollte doch lieber auch mal sowas lesen…

Dann ist das Essen da. Der Hausherr verzieht sich taktvoll. Es schmeckt vorzüglich.

Zum Schluß bietet Joe noch an, uns am nächsten Tag die Insel zu zeigen. Aber wir brauchen nicht mal eine Ausrede, denn wir wollen ja wirklich abreisen.
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Wird fortgesetzt…